Die Veranstaltungen im Neokeller finden allesamt im Rahmen eines antifaschistischen Selbstverständnisses statt. Dabei muss zunächst aber ins Bewusstsein gerufen werden, dass Antifaschismus längst keine linke Domäne mehr ist. Die Geschehnisse von Rostock-Lichtenhagen werden von der Mehrheitsgesellschaft längst verurteilt und kein anständiger Deutscher darf mehr als Türkenhasser, Ausländerfeind oder dergleichen gelten. Das ist offensichtlich (so wie der Antirassismus auch selbst nur immer offensichtlich ist – es geht ihm nicht um die Kritik an Ausländerfeindschaft, Xenophobie, Rassismus im Kern und an der Wurzel) und wer anderes behauptet, ist dumm oder schlecht.
Warum dann noch aufmucken, wieso an Deutschland motzen? Das alles sei doch verlogen, es handle sich um eine Farce, Antifaschismus müsse immer radikal und militant ausfallen, sonst wär’ er keiner, so und noch anders die Stimmen wie man sie häufig aus dem linksradikalen Milieu vernimmt. Ob ein rassistischer Konsens tatsächlich nur verschleiert (und dem im Geheimen doch noch gerne gefrönt) wird oder ob abgesehen von den Restbeständen isolierter Vereinsnazis und Kirmesschlägern es sich heutzutage mit dem (Anti-)Rassismus nicht doch ein klein wenig anders verhält, soll im Folgenden thematisiert werden. Rassestereotype Klischees und wesensprojektive Wahn- und Sehnsuchtsvorstellungen sind nicht abgehakt, so viel sei schon mal verraten (sowie sich von islamo- und xenophiler Völker-/Kulturtätschelei distanziert).
In der ewigen Konkurrenz des Warenmarkts gefangen, zieht es das geschundene Individuum in die vermeintliche Nestwärme des völkischen Kollektivs (oder der fremden Kultur). Es ist dabei die Bewunderung für das naturwüchsig Reine, für das von der Moderne noch Unberührte (oder das sich zumindest dagegen Auflehnende) und das noch nicht von den schädlichen Einflüssen von Geld und Liberalismus, Wallstreet und „Amerikanisierung“ Erfasste, kurz: ein die Zivilisation verneinender Kulturbegriff, der immer schon zwingend damit verknüpft die Kehrseite des alten Rassenchauvinismus bildete. Die Nähe zum Fremden, die der Identitätssucher spüren will, ist die der Putzfrau zum Dreck und die des Kammerjägers zum Ungeziefer (Wolfgang Pohrt). Es ist derselbe Gedanke einer kollektiven „Volksseele“, einer anzustrebenden Natürlichkeit jedes Volkes, welche angeblich einmal verloren ging und womit dann das ganze Leid begann, der damit einhergeht und in dem sich Todes- wie Vernichtungssehnsüchte abbilden.
Dieses gedankliche Hirngespinst der Moderne und zugleich gegen die Moderne gerichtet, biedert sich an als bunt und weltoffen, Taz lesend und Vollkornbrot fressend, Hasch rauchend, heimatbezogen-ökologisch und anständig. Die pazifistische Hingezogenheit der Gutmenschen und Ethnopluralisten zu den moslemischen Selbstmordattentaten kommt nicht von irgendwoher. Deren Relativierung als „Verzweiflungstat“ bis zur offenen Sympathiebekundung als „Märtyrertum“ sind Ausdruck des Versuchs, die Hingezogenheit nach jenem unverderbt-idyllischen Naturzustand der Völker zu befriedigen. Nicht umsonst wird die Möglichkeit auf Befriedigung im Islam vermutet, dessen Zeit gekommen ist, das eigene, durch Unvollständigkeit gezeichnete Versagen in der Ausrottung zu komplettieren und das ehemals nazistische Vernichtungsunternehmen als ein moslemisches fortzuführen, zu Ende zu bringen.
Der Islam als augenblicklich populärste Bestrebung gegen den Westen und dessen Glücksversprechen verdient seine Sympathien innerhalb der Front von Gutmenschen, Islamverharmlosern und rot-braunen „Antiimperialisten“ durchaus: bis ins Mark lust-, lebens- und fortschrittsfeindlich ist er das psychopathologische Kollektiv mit den größten Erfolgsaussichten. Der Islam ist daher augenblicklich der Cadillac der Ideologien, während sich der Rassismus als eine überholte und abgelöste präsentiert. Zu diesem Thema sei als Lektüretipp der Aufsatz „Rasse und Individuum“ (hier zu finden) von Clemens Nachtmann empfohlen.
Was sich friedlich, tierlieb und sozial gibt, ist nicht mehr als der menschenfeindliche Wahn, das wutschnaubende Ressentiment, die verfolgende Unschuld (K. Kraus). Reiter und Ross benennen zu wollen, all der Charaktermasken der Zirkulationssphäre des Kapitals habhaft werden (nämlich die „Spekulanten“, die einen um das Glück – vorgestellt als das friedliche Volk – betrügen, „die da oben“, die es mit uns ja machen können), das personell Böse auslöschen zu wollen, ergeben eine eliminatorische Konsequenz, die letztlich immer auf die Juden zielt.
Was nämlich mit dem Geschimpfe auf „die Herrschenden“, „Banker“, den „Imperialismus“ gemeint ist, sollte klar sein. Es ist der Hass auf eine Zivilisation, die man nicht in ihrer inneren Prozesshaftigkeit begreifen, sondern zerstören will. Mit dem Westen identifiziert wird der Jude und alles wofür er steht, eilig muss sich Europa davon distanzieren und alles das auch nur unter den Verdacht geraten könnte, als jüdisch wiedererkannt zu werden, wird der bereits siegreich gesetzten Umma verraten und verkauft. Dem ideologischen Siegszug des Islams ist daher kein Gegner wer nicht entschlossen und kompromisslos am Begriff des Westens festhält und diesen gegen die Raserei der Anti-Aufklärung verteidigt.
Die ideologisch halluzinierten Machtzentren Israel und USA, der kleine Satan und der große Satan, zeigen, dass es immer noch gibt, was sich zwangsweise so ergeben muss: der Antisemitismus als zentrale und vereinigende Ideologie.
Und wie jedes Ressentiment geht auch der Antisemitismus mit der Zeit. Sich von dem Antisemitismus der Nazis zu distanzieren, ist heute eine der Voraussetzungen, um einen sauberen Antisemitismus praktizieren zu können, der nicht mit Auschwitz assoziiert wird (H. Broder). Im Zuge der sog. „Israelkritik“ paktieren Linke mit Djihadisten, die europäische Mehrheitsgesellschaft und Neonazis, Anarchos, Graue Wölfe, Trotzkisten und Stalinisten, attac-Revisionisten, Sozialisten aller Coleur und Bürgerliche und alle sind sich einig, dass Israel der Störer des allgemeinen Völkerfriedens sein muss. Der klassen- und nationenübergreifende Volksgemeinschaftskleister gibt sich zum Gipfel der Widerlichkeit stets auch noch kritisch, permanent werden „Tabus gebrochen“ und ganz exklusive und verborgene Wahrheiten ausgesprochen. War es früher die Gestalt des Juden als innerer Feind im Volkskörper, der Parasit der seinen Volkswirt aussaugen muss um zu überleben, so wird heute Israel – als Jude unter den Staaten – verdammt, die Welt mit Krieg und „Holocaustindustrie“ unter seiner Fuchtel zu halten, materiell zu kontrollieren und moralisch zu erpressen.
Hier kennt sich jeder aus und hier kann jeder mitreden: jeder wird zum Politmensch, geht es um Israel. An dieser Stelle gilt es zu verdeutlichen, dass ein sich vehement vom Vorwurf des Antisemitismus abgrenzender Antizionismus in Form der „Israelkritik“ niemals eine legitime Form des kritischen Ausdrucks darstellen kann. Israel ist nicht kritisierbar und die Solidarität zum jüdischen Staat nicht verhandelbar. Das Bedürfnis, Israel kritisieren zu müssen, ist nicht mehr als der gekränkte Narzissmus der Deutschen (und jedes anderen Antisemiten) darüber, das große Werk der Judenvernichtung nicht vollendet zu haben. Wer damals an den Öfen stand, ist heute Menschenfreund und warnt vor „Islamophobie“. Das Gequatsche von den Opfern der Opfer ist eine nachträgliche Legitimation von Auschwitz und soll nur einen Gedanken warm halten: war nicht vielleicht doch was dran?
Der Weltmeister der Aufarbeitung, die postfaschistische Nation Deutschland muss seine Schuld relativieren, muss das einzigartige Verbrechen der Shoa Stück für Stück ein klein wenig weniger einzigartig machen, um den Bezug zur deutschen Nation trotz des kleinen Schmierflecks Holocaust zu ermöglichen. Nur dann kann der Antisemitismus, der grundlegenden Stützpfeiler des deutschen Nationalismus, fortbestehen und auf den Tag seiner endgültigen Erfüllung warten. Immer noch heißt Deutschland denken, Auschwitz denken und eine jede Staatskritik wird daran zu messen sein, ob sie mit dem Staat Israel, jener prekären Nothilfemaßnahme gegen die antisemitische Raserei, sich bedingungslos solidarisch erklärt, was die Solidarität mit dessen bewaffneter Selbstverteidigung selbstverständlich einschließt. Und jede Kritik am Kapital ist daran zu messen, ob sie, als ihr theoretisches Zentrum, dessen negative Selbstaufhebung in manifester Barbarei als eine wiederholbare Konstellation auf den Begriff zu bringen vermag und zum Angelpunkt der Agitation macht.(C. Nachtmann)
Unsere intellektuellen wie räumlichen Kapazitäten mögen begrenzt sein, doch muss in der geübten Kritik der Wahrheitsanspruch vor dem der Massenkompatibilität stehen und weil beschriebene faschistische Elemente notwendig in dieser Gesellschaftsform hervorgebracht werden, muss die Kritik am Faschismus immer auf das falsche Ganze zielen und seine Überwindung zum Ziel haben. Somit sind jene sich antifaschistisch Dünkende, die den Verhältnissen bewusst oder unbewusst affirmativ gegenüber stehen, in die Kritik miteinzubeziehen und keine Kompromisse einzugehen, bevor nicht ein gesellschaftlicher Zustand der Spontaneität, der individuellen Selbstverwirklichung durch die Vergesellschaftung der Produktionsmittel im Verein freier Menschen eingerichtet ist, denn das Glück der Gesellschaft ist Voraussetzung für das Glück des einzelnen (K. Marx).
Dies muss nun aber ohne ein ausformuliertes Programm geschehen, die Sehnsucht nach dem Anderen darf sich ausschließlich als negative Revolution begreifen, die einzig mit einem kategorischen Programm der Abschaffungen (K. Korsch) antritt. Denn wir sind uns sehr wohl darüber im Klaren, dass die Möglichkeit zur fetischisierten Wahrnehmung der gesellschaftlichen Verhältnisse auch für uns selbst besteht und der Bruch mit dem notwendig falschen Bewusstsein der bürgerlichen Gesellschaft keine freie Willensfrage ist. Dies hat für uns zur Folge, dass wir neben dem aller auch unser eigenes Bewusstsein fortlaufend kritisch reflektieren müssen, um letztlich alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist (K. Marx).
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Zusätzlich: cafe critique – „Kampfbegriff Islamophobie„